Wissenschaftspreis für Humangeographie, Tübingen 2017

Wortlaut der Laudatio von Prof. Dr. Peter Lindner (Univ. Frankfurt/Main)

Märkte sind eine Selbstverständlichkeit. Einerseits. Doch andererseits ist unser Marktverständnis so stark von idealtypischen Modellen geprägt, dass konkrete Markt-Praktiken auch in der Wirtschaftsgeographie lange Zeit bestenfalls randlich Beachtung fanden. Ganz besonders gilt dies für Regionen und Sektoren, in denen marktwirtschaftliche Beziehungen neu etabliert werden, wo lokale Märkte in globale Austauschbeziehungen integriert und bestehende Märkte restrukturiert werden. Solche frontier regions der Ausbreitung von Märkten, insbesondere im Globalen Süden, bilden konzeptionell ebenso wie empirisch das Zentrum der Arbeit von Stefan Ouma. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt dabei immer auch denjenigen Aspekten von Märkten, die dem orthodoxen Blick leicht entgehen: Machtasymmetrien zwischen den beteiligten Akteuren, Krisen und der Auflösung marktwirtschaftlicher Beziehungen, informellen und manchmal auch formalen Übereinkünften und Standards, die innerhalb des marktwirtschaftlichen Rahmens Nischen etablieren, in denen das Marktprinzip außer Kraft gesetzt ist. Der Begriff „assemblage“ im Titel der Dissertation von Stefan Ouma (Assembling Export Markets: The Making and Unmaking of Global Food Connections in West Africa) kann durchaus emblematisch für diese Perspektive verstanden werden: Es ist ein äußerst heterogenes Ensemble von Menschen und Dingen, Gesetzen und Konventionen, abstrakten Modellen und konkreten Praktiken, die auf spezifische Weise miteinander in Beziehung gesetzt werden müssen, damit Märkte funktionieren. Anhand von zwei Fallstudien in Ghana hat Stefan Ouma untersucht, wie sich die Integration von regionalen Produktions- und Tauschbeziehungen in globale Waren- und Wertschöpfungsketten vollzieht. In beeindruckend detaillierter Weise hat er dabei gezeigt, wie voraussetzungsvoll und gleichzeitig fragil das ist, was häufig nur als das notwendige Ergebnis des freien Spiels von Angebot und Nachfrage gesehen wird.

In den letzten Jahren hat sich Stefan Ouma ganz anderen Märkten zugewandt und einen Prozess untersucht, der in geradezu idealtypischer Weise den Renditedruck verkörpert, unter dem global zirkulierendes Kapital mehr denn je steht: der Finanzialisierung von Agrarland, oft auch als land grabbing bezeichnet. Doch obwohl es gerade hier naheliegend wäre, sich auf die weitere Ausdifferenzierung struktureller Erklärungen zu konzentrieren, verfolgt Stefan Ouma einen anderen Ansatz: Anstatt Agrarland als neuerdings attraktives Anlageobjekt zu verstehen, untersucht er, wie es zu dem werden konnte, was es heute ist, d.h. wie Land kalkulierbar, vergleichbar (auch mit anderen Asset-Klassen) und veräußerbar gemacht wird. In einer Reihe von Aufsätzen hat er damit das allzu einfache Bild großmaßstäblicher Landinvestitionen korrigiert: Beispielsweise, indem er Betrieben und Betroffenen einen anderen Stellenwert als den des passiven ‚Anlageobjekts‘ gibt oder indem er mit dem Begriff „operations of capital“ auf die Historizität von Investitionen in Agrarland einerseits und auf deren komplexe praktische Realisierung andererseits verweist.

Seit Beginn seiner akademischen Karriere ist es Stefan Ouma ein Anliegen, Themen des Globalen Südens (insbesondere in Ost- und Westafrika) in den Fokus der Wirtschaftsgeographie zu rücken bzw. die Wirtschaftsgeographie zu einer Subdisziplin zu machen, die sich stärker auf Regionen und Akteure jenseits erfolgreicher Wissenshubs, Cluster und Wachstumszentren im Norden konzentriert. Dabei ist es ihm insbesondere mit seinen jüngeren Arbeiten, die als eine „globale Ethnographie von Finanzkapital“ charakterisiert werden können, gelungen zu zeigen, dass die territoriale Einteilung der Welt in „Nord“ und „Süd“ zugunsten einer Netzwerkperspektive aufgegeben werden muss, welche die relationale Produktion von Orten und geographisch ungleicher Entwicklung in den Blick nimmt. Seine Forschungsarbeiten haben uns nicht nur durch umfangreiche Feldarbeiten geerdete Einsichten in die Konstruktion, Ordnung, Praxis und die lokalen Artikulationen von globalen Warenketten und Finanzmärkten geliefert, sondern sie stehen gleichzeitig für einen engagierten Pluralismus zwischen Wirtschaftsgeographie, Entwicklungsforschung, Wirtschaftssoziologie, Anthropologie und Postkolonialen Studien.

Verwendung des Preisgeldes

Das Preisgeld des Wissenschaftspreises für Humangeographie der Prof. Dr. Frithjof Voss Stiftung soll vor allem zur Finanzierung von Forschungsreisen und für die so wichtige Zusammenarbeit mit Kollegen in ländlichen Regionen des Globalen Südens, insbesondere in West- und Ostafrika, verwendet werden.

Dort lassen sich sowohl in der landwirtschaftlichen Produktion wie im internationalen Agrarhandel tief greifende Veränderungen beobachten. In Ghana habe ich untersucht, wie Kleinbauern in Zusammenarbeit mit großen Unternehmen Ananas und biozertifizierte Mangos für den Weltmarkt anbauen. Die Ausweitung des Marktes bewirkt infrastrukturelle Neuerungen, schafft Anpassungen an das traditionelle Bodenrecht, klärt über Notwendigkeiten im Bereich der Feldhygiene auf, führt zu sozialen Differenzierungen in den Dorfgemeinschaften und beeinflusst selbst Gender-Beziehungen aufgrund neuer Arbeitsorganisationen.

Meine Forschungen nahmen insbesondere Chancen und Risiken für Produzenten, die mit der Integration in globale Agrarmärkte einhergehen, ins Auge, etwa bislang unbekannte langfristige finanzielle Abhängigkeiten, die Marktmacht großer Supermarktketten oder miteinander in Konflikt liegende Landnutzungsansprüche. Daraus gingen entwicklungspolitische Empfehlungen für Regierung und Verwaltung als auch Unterrichtsmaterialien für die gymnasiale wie für die universitäre Lehre zum Thema „Globalisierung – Wandel durch Handel“ hervor (http://www.medienlb.de/index.cfm/unterrichtsfilme/geographie/sp/globalisierung/.

In jüngerer Zeit interessiere ich mich vor allem für die Einbeziehung von Land und Landwirtschaft in globale Finanzkreisläufe. Im Zuge der Finanzkrise im Allgemeinen und der Krise der Nahrungsmittelpreise im Besonderen in den Jahren 2007/2008 sind Finanzinvestitionen in Agrarland und landwirtschaftliche Produktionskomplexe stark angestiegen. Finanzinvestoren haben in den letzten Jahren Landwirtschaft als »alternative Anlageklasse« angepriesen. Finanzkapital wird daher oft als einer der Treiber des globalen Ansturms auf Agrarland bezeichnet. Ich interessiere mich vor allem für die konkreten Akteure und Mechanismen der Inkorporation von Land und Landwirtschaft in globale Finanzkreisläufe und gehe der Frage nach, welche ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen damit in Tansania und Neuseeland – zwei Schwerpunktregionen globaler Agrarinvestitionen – verbunden sind. Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik werden von einer solchen Analyse profitieren, da gerade die globale Finanzkrise zeigte, wie wichtig es ist, die alltäglichen Mechanismen von Finanzmärkten zu verstehen.

Prof. Dr. Stefan Ouma

Universität Bayreuth
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