Am Mittwoch, den 23. September wurden im Rahmen der Abschlussfeier des Deutschen Geographentages in Wien die Stiftungspreise für das Jahr 2009 vergeben. Prof. em. Dr. Dr. h.c. Günter Heinritz, Vorsitzender des Stiftungsvorstandes, hielt die im Folgenden dokumentierte Laudatio.

Die Schlusssitzung eines Geographentages ist seit 2001 der Ort, an dem die Prof. Dr. Frithjof Voss Stiftung – Stiftung für Geographie ihren Innovationspreis für Schulgeographie und ihre Wissenschaftspreise für Anthropogeographie und für physische Geographie verleiht, und ich freue mich, dass dies nun auch am Ende des Wiener Geographentags geschehen kann.
Unsere Stiftung verdankt ihre Gründung und finanzielle Ausstattung bekanntlich der Initiative von Prof. Dr. Frithjof Voss und seiner Begeisterung für die Geographie. Frithjof Voss hat für dieses Fach gelebt, das für ihn, wie er selbst gesagt hat, „das schönste aller Fächer“ gewesen ist. Geographie – das schönste aller Fächer- das mag heute in manchen Ohren fast kindlich –naiv klingen. Ist eine solche Hingabe an und Identifikation mit dem Fach wirklich angemessen? Wie soll man es mit dem Fach halten, welcher Stellenwert kommt einer wissenschaftlichen Disziplin denn heute eigentlich noch zu? Solche Fragen zu stellen, scheint mir gerade am Ende unseres Fachkongresses nicht ganz müßig zu sein, am Ende eines Geographentages also, der sicherlich ein Geographentag der Superlative war, zumindest was die Zahl der Sitzungen bzw. die Breite der auf ihnen angebotenen Themen angeht. Super erscheinen mir dabei nicht nur die zahlreich unternommenen Bemühungen, innerdisziplinäre Fremdheiten und Verständigungslücken abzubauen. Super waren die gewiss höchst eindrucksvolle Demonstration der maßstäblichen Spannweite unseres Faches sowie des großen Umfassungsgrades seiner Forschungsobjekte. Vor allem aber beeindruckend war die Selbstverständlichkeit, mit der früher vermeintlich hermetische Fachgrenzen überschritten worden sind, ja, dieses Überschreiten scheint heute ja geradezu ein Markenzeichen moderner Geographie zu sein. Mit ihrer Bereitschaft zu interdisziplinärer Arbeit befindet sich die Geographie offenkundig in bester Übereinstimmung zum wissenschaftspolitischem Zeitgeist, dem herkömmliche wissenschaftliche Fächer offensichtlich eher suspekt zu sein scheinen, wenn er sie nicht ganz und gar als gestrige Organisationsformen für leistungsschwach und überholt hält. Um nicht missverstanden zu werden: Gegen die Forderung und Förderung interdisziplinärer Arbeit ist selbstverständlich nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, aber darum verlieren Fächer nichts von ihrer Funktion. Wissenschaft kann eben nicht nur als ein kognitives System beschrieben werden, sondern muss stets auch als institutionelles soziales System analysiert werden. Es sind eben die Fächer, denen die Gesellschaft die benötigten Ressourcen in Gestalt von Instituten, Personalstellen und Forschungsetats bereitstellt oder auch vorenthält, und dabei spielt das Ansehen des jeweiligen Faches sicherlich eine ganz wichtige Rolle. Dieses Ansehen aber gründet sich vor allem auf die Beiträge, die ein Fach zur Lösung der Probleme dieser Gesellschaft in der Gegenwart leisten kann und leistet. Es war daher alles andere als kindlich naiv, wenn Frithjof Voss sein Fach, die Geographie als Wissenschaft und als Schulfach dadurch fördern wollte, dass er Wissenschaftspreise für jene Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler ausgelobt hat, deren Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit als überzeugende Beispiele für die Leistungen der Geographie bei der Lösung wichtiger Menschheitsprobleme präsentiert werden können. Gerade angesichts so vieler abgehobener Themen, die sich Geographen als Spielplätze zu eigenem Lustgewinn oder zu ihrer Selbstbeschäftigung angeboten haben und auch weiterhin anbieten mögen, sollen die von der Stiftung ausgelobten Preise dazu anregen und motivieren, die Kräfte auf jene gesellschaftsrelevanten Themen zu richten, um so Ansehen, Bedeutung und Stellung des Faches in der Gesellschaft zu festigen und zu stärken. Und weil dieser der Preisvergabe unserer Stiftung für Geographie immanente Grundgedanke ganz der Intention eines Geographentages entspricht, gehört sie zu Recht auch in dessen Abschlussveranstaltung.
Kommen wir also zur Preisvergabe und beginnen wir mit dem Innovationspreis für Schulgeographie. Mit ihm soll eine Schule ausgezeichnet werden, die sich in hervorragender Weise und langfristig für die Förderung wissenschaftsnaher geographischer Bildung eingesetzt hat. Dieser Preis geht heute an das Burghardt-Gymnasium Buchen, dessen Vertretern, Herrn OStD Manfred Lauer und Herrn StD Jochen Schwab ich dazu sehr herzlich gratuliere. Das Burghardt-Gymnasium Buchen ist Schwerpunktschule für Geographie mit einer beeindruckenden Bandbreite geographischer Aktivitäten, die von allen Kolleginnen und Kollegen der Fachschaft Geographie getragen werden. Zu diesen Aktivitäten gehören die Durchführung von geographischen Schüleraktionstagen für die gesamte Schule, die Durchführung von mehrtägigen geographischen Projekttagen für ganze Jahrgangsstufen und die umfangreiche Mitarbeit im Rahmen der Aktivitäten des UNESCO-Geoparkes Bergstraße. Das allein wäre schon eine Auszeichnung wert. Hinzu kommen jedoch noch Kooperationen mit anderen Schulen, thematisch breit gestreute Fortbildungen für Geographielehrer und besondere Aktivitäten für die Geographie-Referendare des staatlichen Seminars für Didaktik und Lehrerbildung Heidelberg, die das Burghardt-Gymnasium Buchen zu einem Muster- und Modellfall für innovative geographische Bildung werden lassen, dem aus diesem Grund der Innovationspreis für Schulgeographie 2009 verliehen wird.

Der Wissenschaftspreis für Physische Geographie geht an Herrn Dr. Matthias Braun, Universität Bonn. Mit Herrn Braun wird ein Geograph ausgezeichnet, der mit seinen Arbeiten wichtige wissenschaftliche Fortschritte für die Nutzung von Satellitendaten in verschiedenen Anwendungsbereichen erzielt hat. Hierzu zählen etwa die Verbesserung von Landnutzungsklassifikationen, die Ableitung wichtiger bio- und geophysikalischer Variablen und vor allem die Erkenntnisse über das Reaktionsverhalten antarktischer bzw. subantarktischer Gletscher. Gerade die letztgenannten Forschungsarbeiten an einem der „Tipping Points“ des Klimasystems sind von großer Relevanz und Tragweite, hängt doch ganz wesentlich vom derzeitigen und künftigen Abtauverhalten der westantarktischen und grönländischen Gletscher die Schnelligkeit des Meeresspiegelanstiegs ab, einer der gravierenden Folgen des anthropogen indizierten Klimawandels. Der von Herrn Braun vertretene Forschungsansatz reicht weit über die klassische Physische Geographie hinaus in einen geowissenschaftlichen Forschungsbereich, in dem modernste Methoden bei der Messung im Feld, der Einsatz von Satellitenfernerkundung sowie multivariate Statistik, Geoinformation und die numerische Modellierung miteinander verknüpft werden, um der Komplexität der Prozesse in unserer Umwelt gerecht werden zu können. Dies ist kein leichtes methodisches Unterfangen, sondern eine echte wissenschaftliche Herausforderung, der sich Dr. Braun mit Bravour und großem Erfolg gestellt hat.

Den Wissenschaftspreis für Anthropogeographie vergibt die Stiftung heute an Herrn PD Dr. Heiko Schmid, Universität Heidelberg und ehrt damit einen sehr erfolgreichen Nachwuchswissenschaftler, der sich seit seiner Diplomarbeit und Promotion mit geographischer Stadtforschung und politischer Geographie im Vorderen Orient befasst hat. Heiko Schmid hat es immer verstanden, aktuelle und auch für die nichtgeographische Öffentlichkeit interessante und spannende Fragestellungen sehr frühzeitig und engagiert aufzugreifen. Das gilt für seine wenige Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges aufgenommenen politisch-geographischen Arbeiten im Libanon, insbesondere seine Konfliktstudien zum Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Hauptstadt Beirut, ebenso wie für seine Arbeiten zum „great game“ um die Energieressourcen in Turkmenistan. Mit seinen Arbeiten zu Dubai und Las Vegas, welche in einer geschickten Verknüpfung von akteursorientierten und semiotischen Ansätzen ganz neue, sehr dichte Ergebnisse zu den Mechanismen und zum wirtschaftlichen Erfolg solcher globalen Boomtowns zu Tage gefördert haben, hat er auch gegenüber der Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass die Humangeographie zu aktuellen wirtschaftlichen und politischen Prozessen der Gegenwart ihren gewichtigen Beitrag leisten kann.
Wien, am 23. Sept. 2009
Prof. (em.) Dr. Dr. h. c. Günter Heinritz