Am 17. Mai 2016 verstarb im Alter von 90 Jahren Prof. Dr. Xavier de Planhol (Paris). Erst im Oktober 2015 hatte ihm die Prof. Dr. Frithjof Voss Stiftung – Stiftung für Geographie den Internationalen Wissenschaftspreis der Deutschen Geographie verliehen.

Prof. Dr. Xavier de Planhol, ehemaliger Professor für Geographie an der Universität Paris-Sorbonne und einer der letzten aus einer Generation bedeutender Humangeographen der frankophonen Welt, war eine herausragende Forscherpersönlichkeit auf internationalem Niveau. Im Laufe seiner akademischen Laufbahn wurde er mit zahlreichen hohen Ehrungen bedacht und war Mitglied der Academia Europaea, Mitglied und früherer Prä­sident der Académie des sciences d’outre-mer, korrespondierendes Mitglied der Aca­démie de Stanislas, Ehrenpräsident der Société des études euro-asiatiques, Ritter der Ehrenlegion und Offizier des Ordens der Akademischen Palmen (ordre des Palmes aca­démiques).

Xavier de Planhol war ein akademischer Lehrer und Forscher, der international zu den herausragenden Ver­tretern des Faches Geographie gehörte. In der großen Tradition der europäischen Geis­tesgeschichte stehend, deckt sein wissenschaftliche Œuvre nahezu die gesamte Breite des Faches ab. Es reicht von der Physischen Geogra­phie über die Human- und Kulturgeographie bis hin zur Disziplingeschichte. Innovativ in Fragestellung und Methodik, sind bereits seit vielen Jahren zahlreiche seiner Veröffentli­­chungen als blei­bendes Vermächtnis ihres Verfassers zu bewerten und anzuerken­nen.

Ausgangspunkt aller Forschungen von Xavier de Planhol waren akribische Feldstudien einerseits, souveräne Kenntnis und Beherrschung der internationalen Fachliteratur – auch über Disziplingrenzen hinweg – andererseits. Regionaler Schwerpunkt seiner Arbeiten sind der Nahe und Mittlere Osten sowie Nordafrika.

Die ersten Buchpublikationen Le Monde Islamique. Essai de Géographie Religieuse 1957 (Englische Übersetzung: The World of Islam 1959) und Les Fondements Géographiques de l’Histoire de l’Islam 1968 (Deutsche Übersetzung: Kulturgeographische Grundlagen der islamischen Geschichte 1975, in 2. Aufl. 1988) begründen die große inter­nationale Re­sonanz auf das von Anbeginn an eindrucksvolle, Raum und Zeit transdis­ziplinär verbin­dende Geographieverständnis von Xavier de Planhol. Sein Anspruch, eine „Geschichte der Landschaft des Islams“ vorlegen zu wollen, ist in vielen seiner Arbeiten innovativ und überzeugend realisiert. Als geradezu prophetisch­, bezogen auf die heutige politi­sche Situation der islamischen Welt, nehmen sich die umfangreichen Analysen zur politischen und religiösen Vielfalt und Differenzierung des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas aus. Les Nations du Prophète. Ma­nuel géographi­que de politique musulmane (1995) und Minorités en Islam. Géo­gra­phie politique et sociale (1997) sind Musterbeispiele gegenwartsrelevanter und hoch­aktueller Analysen geographi­scher, politischer, historisch sowie ethnisch-religiö­ser Differenzierungen der Krisen­regionen des islamischen Orients, die viel zum Ver­ständnis der Konflikte und deren Überwindung beitragen können. – L’eau de neige (1995) oder L’Islam et la mer (2000), um nur einige weitere großartige und volumi­nöse Werke von Xavier de Planhol zu benennen, sind ebenso originelle wie profunde Kabinettstücke intellektueller Ana­lytik. Vermeintlich Nebensächliches oder randseitig erscheinende Probleme erhal­ten durch die Gedankenführung des Autors, seine fas­zinierende Belesenheit und seine Kenntnis auch der Fachliteratur themenrelevanter Disziplinen ein hohes Maß an Ak­tualität. Alles das macht Xavier de Planhol zu einer Ausnahmeerscheinung der inter­nationalen Geographie. Die Lektüre seiner Werke besticht den Leser durch grandiose Detailkenntnis, durch eine fachübergreifende Zusammenschau unterschiedlichster Themen und Probleme sowie durch elegante Stilistik und Ausstattung der Texte mit Karten, Plänen, Statistiken und zeitgenös­si­schen Zitaten aus vielen Jahrhunderten. Die engen Querverbindungen zwischen Geogra­phie und Geschichte zeigen immer wieder faszinierende Interdependenzen von Raum und Zeit.

Der auch starke Bezug seines wissenschaftlichen Tuns zur deutschen Geographie erschließt sich zunächst über die Überset­zung ins Deutsche seiner Mo­nographie Kulturgeographische Grund­­la­gen der islamischen Geschichte (1975, in 2. Aufl. 1988), vor allem aber über die Re­zeption seines Wer­kes in Deutschland und den fachli­chen Diskurs mit deutschen Orientgeo­graphen. Er hat in ungewöhnlich umfangrei­cher Art und Weise die Fachlite­ratur in deutscher Sprache aufgenommen und verar­beitet und, umgekehrt, auf diese einge­wirkt. Sein Werk hat anregend und befruchtend auf die Orient-geographie in Deutsch­land wie auch in der anglophonen Welt gewirkt.

Das schier unglaubliche Lebenswerk mit zwölf voluminösen Monographien und hunderten weiterer profunder Veröffentlichungen sucht sei­nesgleichen in der internationalen Geographie der Gegenwart. Nicht zuletzt haben zu seiner Popularität auch die profunden Beiträge in der Encyclopaedia Iranica beige­tra­gen. Die Wertschätzung der Geographie und Geographen kommt in der großen Zahl deutschsprachiger Beiträge zur Festschrift von Xavier de Planhol mit dem Titel Hommes et Terres d’Islam (2 Bde., 2000) zum Ausdruck.

Die Deutsche Geographie und die Prof. Dr. Frithjof Voss Stiftung schätzen sich im Nachhinein glücklich, dass sie Xavier de Planhol noch kurz vor seinem Tod mit dem „Internationalen Wissenschaftspreis 2015 der Deutschen Geographie“ die verdiente Anerkennung für sein eindrucks­volles Lebenswerk aussprechen konnten – eine Ehrung, die er im Übrigen mit großer Freude und Rührung entgegen nahm.

Die deutsche Geographie verbeugt sich in Be­wun­de­rung und Aner­kennung vor der gran­diosen geographischen Leistung von Xavier de Planhol, dem Freund und Kollegen.

Eckart Ehlers (Bonn) und Herbert Popp (Bayreuth, Prof. Dr. Frithjof Voss-Stiftung)